Mythos: Wachstumsfugen und Krafttraining

Ein weit verbreiteter Irrtum besagt, dass (schweres) Krafttraining in der Jugend/Pubertät das Höhenwachstum bremse, weil sich die Wachstumsfugen angeblich hierdurch schlössen.

Ich selbst habe jung mit dem Krafttraining begonnen und durfte mir einige, für einen jungen Knaben mitunter beängstigende “Prognosen” anhören. So hieß es beispielsweise, ich würde aufgrund meines Hobbys nicht mehr wachsen. Nun, gewachsen bin ich seitdem tatsächlich kaum. Mein erster Trainingspartner allerdings, ist von über 1,70 m auf ca. 2,00 m in die Höhe geschossen. Mit ca. 14 Jahren hat er unter meiner Anleitung mit dem Krafttraining begonnen, sein Höhenwachstum war zu Trainingsbeginn also noch nicht abgeschlossen.

Wie es wirklich ist

Das stemmen schwerer Gewichte ist in Bezug auf das Höhenwachstum unbedenklich. Selbstverständlich sollte man (in jedem Alter) schonend mit dem eigenen Körper umgehen. In der Jugend steckt der Körper “Trainingsfehler” leichter weg. Das heißt aber nicht, dass man in der Jugend deshalb leichter, schwerer oder anders trainieren sollte, als im Alter. Es sollte stets verantwortungsbewusst trainiert werden. Der jugendliche Leichtsinn sollte gewiss in Schach gehalten werden. Hierbei gilt es aber, Verletzungen und Überbelastung zu vermeiden. Mit dem Höhenwachstum steht dies in keinem Zusammenhang.

Kompression der Wirbelsäule

Morgens sind wir i. d. R. größer als Abends. Das liegt an einer reversiblen und an sich unbedenklichen Kompression der Wirbelsäule. Wäre unsere Wirbelsäule nicht in der Lage, sich zu unter Druck zu komprimieren, hätten wir einen ziemlich steifen und unbrauchbaren Rücken. Mein Gewichthebetrainer demonstrierte mir einst das Gegenteil: Dekompression. Die Wirbelsäule zu dekomprimieren ist simpel und lässt sich durch sogenanntes “Aushängen” erzielen. Tatsächlich war der gute Mann (ich weiß nicht ob es in seinem Sinne ist, dass er hier erwähnt wird) nach der “Demonstration” einige Zentimeter größer als vorher. Schwere Kniebeugen machen klein und Aushängen macht groß. Mit den Wachstumsfugen steht dies aber – wie bereits erwähnt – in keinem Zusammenhang.

Was das Höhenwachstum stoppt

Das Höhenwachstum wird nicht durch das Tragen oder Heben schwerer Lasten, sondern durch Hormone gestoppt. Wenn ich mir richtig entsinne spielt Testosteron hierbei eine große Rolle. D. h., je früher große Mengen an Testosteron freigesetzt werden, desto eher schließen sich die Wachstumsfugen. Körperliche betätigung wirkt sich auf den Testosteronspiegel (auch bei Jugendlichen) aus. Dies gilt für Krafttraining allerdings in gleichem, wenn nicht gar in geringerem Maße, als z. B. für Fußballtraining.

Worauf man beim Training in der Jugend achten sollte

Es gibt keine besonderen Regeln, die man beachten muss, damit das Training in der Jugend erfolgreich verläuft bzw. unbedenklich bleibt. Zwei Dinge waren dem Leiter meines Gewichtheberclubs ein Dorn im Auge, insbesondere bei Jugendlichen: Das Heben von Lasten über dem Kopf (z. B. Schulterdrücken) und tiefe Kniebeugen. Sein Motto war: Wenn Du kein (kompetitiver) Gewichtheber bist, wieso tust Du Dir das dann an? Von Bankdrücken, Seitheben und Frontrudern kannst du Schultern wie “Kanonenkugeln” (sic!) bekommen. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass viele Gewichtheber (aber auch Nichtathleten) ab einem gewissen Alter derart abgenutzte Schulter haben, dass Übungen wie Bankdrücken oftmals möglich, aber eine Tasse aus dem Schrank zu holen nahezu unmöglich ist (wegen Schmerzen, die beim Heben des Armes über den Kopf entstehen).

Meine Regeln für Jugendliche

Merke Dir eins: Die Klischees sind unfug. Worauf man wirklich achten sollte, ist dass der Bizeps heile bleibt. Gerade, wenn man schweres Kreuzheben oder ähnliche Übungen durchführt, ist dieser kleine (!) Muskel bzw. sein Sehenenansatz äußerst verletzlich. Die Schultern sind als Gelenke sehr anfällig für Verletzungen. Nach zwei Rotatorenverletzungen kann ich getrost sagen: Eine ausgeglichene und nicht ad absurdum belastete Schultermuskulatur.

Achte auf eine ausgewogene Ernährungsweise und darauf, genügend Vitamine zu Dir zu nehmen. Vitamin C ist z. B. mitunter für die Kollagenbildung nötig. Das bedeutet, dass Muskeln, Haut, Sehnen, Bänder und derartige Strukturen einer ausgewogenen und an die individuellen Bedürfnisse angepassten (Verfechter der “Karnivoren Diät” behaupten, man bräuchte Vitamin C lediglich, wenn man auch Kohlenhydrate zu sich nimmt. Das wollte ich nur mal erwähnt haben und sollte nicht gleich für bare Münze genommen werden. Wäre dies stimmig, so ließe sich möglicherweise daraus folgern, dass die vom Körper benötigte Menge Vitamin C entsprechend der Kohlenhydratkonsumption höher oder niedriger liegt – abgesehen von anderen Faktoren wie Statur und Bewegungsprofil).

Zusammenfassung

Wie Männer, Frauen, Alte und Kinder sollten auch Jugendliche auf eine korrekte Trainings- und Ernährungsweise achten. Hierbei sollte man Jugendliche keinesfalls diskriminieren – ganz im Gegenteil – ihnen zu Eigenverantwortung verhelfen. Manche lernen, ohne sich vorher verletzen zu müssen. Bei mir was es anders. Keine Sorgen muss sich die Jugend in Bezug auf das Höhenwachstum machen. Krafttraining steht in keinem kausalen Zusammenhang mit dem Abschluss des Höhenwachstums, auch wenn man temporär “kleiner” wird, nachdem man schwer gehoben hat. Will man wieder “größer” werden, genügt es, ein Wenig an der Klimmzugstange zu hängen.

Alexander Loewenstein

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